„Vatertag, ein stiefmütterliches Dasein“

von Stefan für Birla

Vater und Sohn  auf dem FriedhofAnders als beim Muttertag, der zu Ehren der Mutterschaft seit mehr als einhundert Jahren zelebriert wird, verläuft der Vatertag, der in seiner heutigen Form schon seit Ende des 19. Jahrhunderts besteht, meist völlig anders ab. Die Mutter wird an ihrem Ehrentag von ihren Liebsten beschenkt und bedacht. Der Vater beschenkt sich selbst, unter Ausschluss seiner Familie, mit viel Bier und oder Schnaps. So ist es in vielen Familien die Regel und sicherlich mehr als ein reines Klischee.

Ich wuchs bei einer alleinerziehenden Mutter auf und hatte in meiner Kindheit wenig Kontakt zu meinem Vater. Vatertag war für mich nur in Form von betrunkenen Männern mit Bollerwagen wahrnehmbar. Das stieß mich schon seit jeher ab. Ich kann mich an Grundschulbastelein erinnern, die für Mütter zum Muttertag gefertigt wurden. Dass Mitschüler oder ich dazu aufgefordert gewesen wären, etwas für den Vater zu basteln, daran erinnere ich mich nicht. Natürlich wird es seit Erfindung des Vatertages Männer gegeben haben, die diesen Tag nicht mit Bollerwagen und Schnaps, sondern mit der eigenen Familie gemeinsam gefeiert haben, nur war das für mich nicht sichtbar. Der Vatertag führte in meinem Leben also schon immer ein stiefmütterliches Dasein.

Unsere Tochter Birla starb im Juni. An meinem 40. Geburtstag im Mai erfuhren wir, dass sie ihre eigene Geburt nicht überleben wird, da sie schwer krank war. Auf der Einladungskarte für die Beerdigung ließ meine Frau drucken: „Birla hat uns zu Eltern gemacht“, mich also auch zu einem Vater. Die Liebe, die ich für meine tote Tochter bei der Geburt empfand, war exakt dieselbe Liebe, die ich ein Jahr später bei der Geburt meines lebendigen Sohnes wahrnahm. Die elterlichen Pflichten und Fragestellungen sind nur andere, enden aber nicht mit dem Tod meiner Tochter. Welchen Friedhof wollen wir? Wo bekommen wir einen so kleinen Sarg her? Wie gestalten wir die Trauerfeier? Ich musste mich also dem Vatersein und der damit verbundenen Verantwortung stellen, nur eben anders, als ich dachte.

Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass ich damals keinen Gedanken daran verschwendet hätte, wie es hätte sein können, den Vatertag im nächsten Jahr mit ihr und ihrer Mutter zusammen zu feiern. Völlig unaufgeregt mit einem guten Frühstück und in der Sonne spazieren gehen, um den See bei uns wenig weit entfernt. Unsere Tochter im Kinderwagen, den ich langsam über den lehmigen Weg schiebe. Meine Tochter würde dann wohlig schlummern und leise Schmatzgeräusche mit dem Schnuller im Mund von sich geben.

Obwohl ich in meiner Kindheit, Jugend und die meiste Zeit in meinem erwachsenen Alter keine wirklichen Berührungspunkte mit dem Vatertag gehabt habe, machte ich mir hin und wieder Gedanken zu dem Thema, besonders weil ich zunächst Vater eines toten Kindes und später dann Vater eines lebenden Kindes geworden bin. Ich möchte gern mit meinem 4 Jahre alten Sohn den Tag genauso feiern, wie ich es in Gedanken mit meiner Tochter getan habe. Unaufgeregt, mit gutem Frühstück, Spaziergänge bei Sonne an der frischen Luft im Kreise der Menschen, die ich liebe. Mein Sohn wird mit einem anderen Verständnis vom Vatertag aufwachsen, als ich es tat oder überhaupt mit einem Verständnis dafür.

Ich habe Väter kennen gelernt, die mir erzählten, dass sie am Vatertag ihre toten Kinder an den Gräbern besuchen. Ich stelle mir vor, dass diese Väter bestimmt den Vatertag mit ihren eigenen Vätern fernab von Bollerwagen und Schnaps verbracht haben. Vielleicht mit Ausflügen, Essen gehen, reden und herumalbern. Die Sehnsucht, diese eigenen Erinnerungen mit den Kindern, die nicht mehr leben, lebendig werden zu lassen, ist sicherlich unermeßlich groß.