Verluste

Ein Angehöriger erkrankt schwer, eine Freundin stirbt, nach langem Warten und Hoffen ist man endlich schwanger, nach 5 Monaten hat das Herz des Kindes aufgehört zu schlagen – und nichts ist mehr, wie es war. Der Tod stellt sich uns in den Weg. Die Sonne scheint weniger zu wärmen, Farben werden blass. Von einem Augenblick zum nächsten beherrscht das Thema Verlust und Tod unser Denken und Fühlen, unsere eigene Sterblichkeit wird uns bewusst.

Wir Menschen verlieren so viel in unserem Leben. Verluste und Brüche gehören immer dazu. Wie reagieren wir, wenn andere etwas verloren haben, die Arbeitsstelle, das Zuhause, ihre Partnerschaft, Haustiere, oder einen nahen Menschen, ein Kind ? Meist sind wir bei anderen leicht im Mitgefühl. Verlieren wir selbst, bewegt sich unser Innerstes als wären wir in einer Achterbahn. Zuerst ist man wie benommen, erstarrt, leer im Kopf. Doch bald ist man allen schwankenden Gefühlen hilflos ausgesetzt.

Verliert man ein Kind, ist es verständlich, wenn Mütter und Väter Trauma bedingt wie betäubt oder gelähmt sind, dann aufgeregt, wütend oder auch aggressiv im Flucht- oder Kampfimpuls reagieren. 

Dazu stellt die Erfahrung des Todes am Anfang des Lebens alles in Frage. Erlebt wird ein Scheitern, als pfeife das Leben einen zurück, obwohl man doch gerade voller Hoffnung war. Die eigenen Fähigkeiten werden in Frage gestellt, als ob man es nicht verdient hat, Kinder zu bekommen, als ob man etwas falsch gemacht hat, als ob das Leben oder Gott einen bestrafen will. Das Vertrauen ins Leben ist gebrochen. Und eigentlich möchte man nur abhauen oder sich betäuben.

Mütter und Väter werden hilflos überrollt von einer Katastrophe und verlieren, was ihnen am wichtigsten ist. Doch „Nichts wie weg!“ ist keine Option. Tatsächlich ist es sogar besser, alles zu entschleunigen. Mütter können sich sowieso gar nicht distanzieren oder zurückziehen. Mütter sind es ganz, mit ihrem Körper, ihrem Herzen und ihren Seelengefühlen. Mütter und Väter müssen dadurch. Heilsam, wenn dies gemeinsam möglich ist.


Ein traumatischer Verlust erfasst die gesamte Familie

Als Paula in der 22. Schwangerschaftswoche zur Welt kam und nur ein paar Stunden später starb, betraf dieser Verlust die gesamte Familie.

Birgit Berg erzählt:
„Die Mutter von Paula geriet durch Blutungen in Lebensgefahr, daher konnte man die Geburt von Paula nicht aufhalten. Ihr Mann war in großer Sorge um das Leben seiner Frau, ihre eigenen Eltern waren in großer Sorge um ihre eigene Tochter. Nach der Geburt ist für Paulas Mutter der Schock so groß. Als sie zu ihrer Tochter auf die Neo-Intensivstation in ihrem Bett geschoben wird, ist sie vom Kaiserschnitt noch ganz benommen. Wieder in ihrem Zimmer, fällt ihr nachts plötzlich ein, dass sie gar nicht weiß, wie ihre Tochter aussieht. In dem Moment trifft sie der Tod ihrer Tochter mit voller Wucht.

An dem Tag bekommen wir Kontakt und ich kann ihr Paula bringen. Ein langes, kleines süßes Mädchen mit einem Feengesicht. Beide Eltern verbringen nun die Tage im Krankenhaus viel Zeit mit ihr. Wir machen ein Namensgebungsritual und Paula bekommt eine Schmuckurkunde dazu. Besonders berührend ist der Moment, als wir drei ihren Namen im Raum 3mal aussprechen. Sie können miteinander ankommen, als Mutter, Vater und Tochter. Dieser Weg hilft beiden, in all dem Schrecklichen schöne Erinnerungen zu schaffen und ins Trauern zu kommen. Sie konnten mit ihrer Tochter gemeinsam in einem Raum trauern und ihre Liebe spüren. Den kleinen Engel und ein rotes kleines Holzherz, die Namensurkunde und ihre Spuren auf der Regenbogenkarte bekommen sie mit nach Hause.

Da beide kein Fotohandy dabei hatten, mache ich welche. Als ich die Kamera wegbringen will, will der Großvater (Vater der Mutter) gerade zu den beiden, sie besuchen. Ich stelle mich vor und sage ihm, dass seine Enkelin Paula gerade bei ihren Eltern ist. Er ist etwas überrumpelt, aber als ich ihm anbiete, dass auch er seine Enkelin sehen kann und seine Kinder ihn reinbitten, möchte er gerne.  Auch der Großvater kann sein Enkelkind ausgiebig betrachten und mit seiner Tochter weinen und sie in den Arm nehmen. Er ist über sich selbst sehr erstaunt, dass er das jetzt so kann und es wunderschön findet. Er ist dankbar für jeden Moment. Nach und nach kommt die gesamte Familie und wird miteinbezogen. Irgendwann ist der stimmige Moment, Paula zu verabschieden, so dass ich sie wieder in die Kühlung bringe. Solange die Mutter im Krankenhaus ist, kann sie Paula noch öfter sehen.“