Trauer

Es ist unendlich traurig, wenn Mütter und Väter ihre Kinder vor, während oder kurz nach der Geburt verlieren. Es ist immer eine persönliche, individuelle Lebenssituation. Wie schwer und tiefgreifend diese Verluste sind, das können Außenstehende nun wirklich nicht beurteilen. Manchmal wird so reagiert, als würde die Trauer abgesprochen: weil „es noch gar nicht richtig gelebt hat“ oder „sie noch so jung sind und sie weitere Kinder bekommen können“. Es gibt kaum Zeugen für das Dagewesen sein eines Kindes, wenn es so früh in der Schwangerschaft tot zur Welt gekommen ist. Schon mit dem Wissen schwanger zu sein, entsteht und wächst eine Bindung und eine andere Gedankenwelt ist da. Der Verlust und die Trauer über etwas, was eigentlich noch nicht greifbar oder sichtbar ist erscheint der Umwelt irrational, vielleicht sogar übertrieben. Der Zeitpunkt der Fehlgeburt spielt in der persönlichen Betroffenheit aber kaum eine Rolle. Versucht ein Paar schon lange ein Kind zu bekommen, sind Leid, Kummer, Trauer und Verzweiflung sehr groß, wenn die Schwangerschaft sich einfach nicht einstellt. Extrem belastend ist es, wenn die Schwangerschaft da ist und dann das ganz Kleine in Gefahr gerät.

 Kurzes Leben, kleine Trauer, gibt es nicht! 

Heute wissen Frauen sehr früh, dass sie schwanger sind. Außerdem sind Schwangerschaften oft lange geplant, die Erwartungen hoch, die Angst auch. Statistisch geschätzt, enden etwa bis zu vier von zehn in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft.

 Jedes Leben ist kostbar

Braucht der Weg in die Schwangerschaft medizinische Hilfe, lebt man mit seinen Ängsten im Spagat zwischen medizinischem Können, Machbarkeit und Ohnmacht. Manche Paare kommen bei mehreren Versuchen und der gleichzeitigen Achterbahn der Gefühle zusätzlich finanziell an ihre Existenzgrenze.


Die Überrumpelung ist meist sehr groß, oft kommt die Geburt überraschend. Das Unglück ist nicht aufzuhalten. Jemand hat vielleicht gerade vermeintlich gut gemeint gesagt: „Denken Sie nicht daran und versuchen Sie schnell, wieder ein Baby zu bekommen.“ Es ist eine komplexe Krisensituation mit traumatisierenden Anteilen.

Auch wenn die Seele schon trauert und weiß um wen, auch wenn Schmerz und Herzenskummer spürbar da sind, ist doch auch Schock und Betäubung da, was Trauma bedingt sogar als Schutz durch die Abläufe im Gehirn bereitgestellt wird. Deshalb brauchen Mutter und Vater mehr Möglichkeiten, mit ihren Sinnen wahrzunehmen. Sind möglichst viele Sinne beteiligt, können wertvolle Erinnerungen geschaffen werden.  Das bedeutet auch, sich orientieren zu können. Sehen, berühren, die Stille hören, auch riechen, tragen, im Arm halten, helfen tatsächlich, beim Kind und damit bei sich selbst anzukommen. Die Mutter kann ihr Kind außerhalb ihres Körpers spüren und damit die schon lange vorhandene Nähe wahrnehmen. Mütter und Väter können die Liebe und die Trauer über den Abschied mit ihrem Kind gemeinsam im Raum spüren. Und der Vater kann zum ersten Mal sein Kind direkt spüren, nicht nur durch die Bauchdecke seiner Frau. Und für beide sollte möglichst kein zusätzlicher Schmerz entstehen, weil jemand sagt: „Ihr versucht es doch sowieso nochmal.“, und damit die Trauer verscheuchen will.

Das Kind wahrnehmen, dabei vielleicht sogar Familienähnlichkeiten entdecken, würdigt das Dasein des Kindes und hilft ins Trauern zu kommen. Vielleicht ist die Furcht sehr groß, vor dem, was zu sehen sein wird, weil das Kind Besonderheiten hat. Natürlich darf es kein Erzwingen geben, das Kind zu schauen, aber ein Werben, sich langsam und vorsichtig zu nähern, sollte immer möglich sein. Ist das Kind mit einem Tuch abgedeckt, sollte jemand orientieren helfen, wo Kopf und Füße sind. Meist ist es möglich, sich einen Fuß oder eine Hand anzusehen. Und die Erfahrung hat gezeigt, dass das Geschaute wesentlich weniger schlimm ist als die Vorstellung und die Fantasie. Und ein entscheidender Unterschied ist, dass es das eigene Kind ist, das angeschaut wird und nicht das eines anderen.

Das eben Beschriebene sind viele kleine Schritte, die einen Weg gestalten, der ins Trauern bringt und den Abschied gehbar macht. Trauer ist ein starkes Gefühl und wird sie als Verbündete zugelassen, öffnet sie ein Weg zurück ins Leben.

 


Was beim Trauern hilft und was guttut

  • beteiligt und einbezogen werden, Zeit haben, den Tod zu realisieren,
  • in Geste und Sprache wertschätzen, dass sich ein Kind auf den Weg gemacht hat,
  • ins Trauern kommen helfen, das Kommen des Kindes würdigen, nach einem Namen und Familienähnlichkeit fragen,
  • den bisherigen Weg erfragen, wie die Schwangerschaft war, wie die Lebenssituation ist,
  • Begrüßung und Abschied gestalten helfen, vorbereitend sprechen, ein Ankommen ermöglichen, „sich dem Kind nähern“ fördern,
  • nächste Schritte beschreiben, Info geben, was alles möglich ist, wie umsetzbar,
  • die soziale Umwelt der Trauernden in die Wahrnehmung und Begleitung miteinbeziehen.
  • Raum geben für das Gefühl der Schuld, von Scheitern und Versagen
  • Aufblenden dieser spirituellen Dimension, dass es die Liebe und Beziehung zum Kind gab und gibt und dass dies wirklich war. Etwas, das hilft, sich mit dem zu versöhnen, was ungelebt bleibt, und auch mit sich verzeihlich zu sein, mit dem, was nicht möglich war.
  • für diesen Weg werben, dass der Tod „an sich“ im eigenen Leben einen Platz braucht und das gestorbene Kind immer im Herzen dabei sein wird.

Brüche und Verluste sind Teil unseres Lebens. Wenn der Tod am Anfang des Lebens steht, ist besonders belastend, dass eine Zukunft beendet wird, bevor sie wirklich begonnen hat.

Die Belastungen sind groß und vielfältig. Emotional und physisch ist alles ungewiss. Die Angst des Mannes ist da, weil die Frau Schaden nehmen kann. Die Rollen sind verändert, die Frau ist im Mittelpunkt des Geschehens und der Mann kann den drohenden Verlust nicht verhindern. Die Beziehung wird unter eine Zerreißprobe gestellt. Es ist schwer, sich gegenseitig zu trösten. Männer und Frauen trauern unterschiedlich. Jeder ist geprägt, von all der Trauer, die schon vorher in seinem Leben war. Und es wirkt sich aus, ob und wie als Kind getrauert oder nicht getrauert werden durften, oft als Mädchen oder Junge unterschiedlich. Trauern heißt auch vertrauen, dass man mit Verlusten leben lernen kann. 

 


Wie können wir die Trauer bewältigen?

Da alles Lebendige sterblich ist, gehört die Begegnung mit dem Tod in unser Leben. Es tut gut zu wissen, wie verletzlich wir sind und auch, dass wir uns nach schweren Verlusten wieder aufrichten können. Es gibt kein wissenschaftliches Konzept, das belegt, wann Trauern endet oder enden müsste. Trauer hat keinen Haltbarkeitsstempel. Wenn die Trauer sich ausdrücken darf, in Gefühlen von Hilflosigkeit, Ohnmacht und Verzweiflung, Liebe, wenn alles seinen Platz bekommen kann, setzt das Kräfte frei, die das Trauern mitbringen kann. Es öffnet sich eine innere Tür für die eigene Gestaltung. Es gibt inzwischen genügend Forschung, die Schritte und Hinweise benennen, die hilfreich sind. Eine ganze Weile kann das Grab ein wichtiger Ort sein, wie eine letzte Adresse hier auf Erden. Auch tut es gut, sich eine Art Gedenk-Ecke zu Hause einzurichten, wo Bilder stehen, Erinnerungsstücke und eine Kerze angezündet werden kann. Die Verstorbenen bleiben im Herzen bei uns, in der Nähe und in der Liebe, selbst dann, wenn Verstorbene einem eine Last aufgelegt hatten.