Erste Hilfe für Betroffene – Still geboren

 

Liebe Mütter, liebe Väter,

Wenn Sie dies hier lesen, befinden Sie sich womöglich genau jetzt in Mitten einer Ausnahmesituation, wenn „plötzlich alles ganz anders ist“, die Welt still zu stehen scheint und sich zugleich so schnell dreht, dass der Boden unter den Füßen schwankt. Ein Kind zu verlieren, ist die schwerste Erfahrung, die wir machen können. Klar denken und handeln scheint unmöglich, Sie funktionieren nur, oder sind wie betäubt, verzweifelt, in Panik, sprachlos und haben Angst.

Versuchen Sie trotzdem, möglichst alle Fragen zu stellen, die Ihnen in den Sinn kommen. Trauen Sie sich, alles auszusprechen gegenüber Hebammen, Ärzt*innen und Menschen Ihres Vertrauens. Sich nicht auskennen, macht unsicher. Hören Sie auf Ihr Inneres. Nehmen Sie keine „falsche” Rücksicht. Holen Sie sich Hilfe, es ist mehr möglich, als Sie denken. Fragen Sie und verhindern damit ein später schmerzliches „Hätte ich doch!“.
Oft haben Sie wirklich Zeit, sich auf diese Un-Situation einzustellen. Lassen Sie sich nicht drängen. Mit ärztlicher Absprache können Sie nach Hause gehen. Sollte Ihr Kind im Bauch gestorben sein, besteht für Sie keine Gefahr.

Ihre Seele, Herz und Geist brauchen Zeit anzukommen, in dem, was mit Ihnen gerade geschieht,
damit Sie Ihren eigenen Weg finden.

Sie sind schon jetzt mitten im Abschiednehmen. Packen Sie eine Tasche, etwas zum Einwickeln für Ihr Kind, denken Sie an ein aufgeladenes Handy oder einen Fotoapparat, um eigene Bilder zu machen.


Die Geburt                      

Auch bei den ganz Kleinen, einer eingeleiteten und „stillen Geburt“, ist es trotz der seelischen und körperlichen Schmerzen hilfreich, diese Geburt wirklich zu erleben. Dieser Moment, Ihr Kind zu begrüßen, ist einmalig. Sehen Sie es in all dem Schrecklichen als Geschenk. Sie können dies mit einem Foto festhalten. Vielleicht haben Sie schon einen Namen im Sinn?


Nach der Geburt

Die Zeit mit Ihrem Kind ist kostbar, denn mit der Geburt fallen Begrüßung und Abschied in einen Moment. Lassen Sie sich Zeit und Ihre Ideen wandern. Jede Gestaltung hilft zu „begreifen“ und anzukommen in dem, was so plötzlich geschehen ist. Wir möchten Sie auf weitere Ideen bringen, die gemeinsame Zeit mit Ihrem Kind persönlich zu füllen.

Vielleicht können Sie sich zunächst nicht vorstellen, Ihr Kind anzuschauen und sind gleichzeitig voller Sehnsucht, es zu sehen. Anschauen, begrüßen sind gute Erfahrungen, sie schaffen Erinnerungen. Es ist Ihr Kind und hat in Ihrem Bauch schon eine Weile mit Ihnen gelebt. Sie haben zu Ihrem Kind gesprochen, Geschwister haben ihre Hände auf den Bauch gelegt. Es ist eine Beziehung entstanden und gegenseitige Liebe ist gewachsen.

Ihr Kind anschauen

Mit der Geburt ist es, als würde ein Schalter umgelegt. Dahinter geht es nicht mehr zurück. Lassen Sie die Geburt auf sich zukommen. Achten Sie auf Ihre innere Stimme. Hebammen werden Sie liebevoll begleiten. Haben Sie keine Angst vor der Begegnung mit Ihrem Kind, auch wenn es Besonderheiten hat. Würdigen Sie dieses Leben, das sich zu Ihnen auf den Weg gemacht hat, begrüßen Sie es mit Ihrer Liebe. Dieses Kind macht Sie zu Mutter und Vater, es ist ein Familienmitglied. 

Vielleicht entdecken Sie Familienähnlichkeiten. Sie können eine Namensgebung machen, einen Segen, ein Gebet sprechen. Fragen Sie nach der Seelsorge im Haus, wenn Sie Begleitung möchten. In vielen Kliniken gibt es dafür einen schönen Raum. Hüllen Sie Ihr Kind in Ihre mitgebrachte Decke. Sie können es auch selber anziehen, oder die Hebamme macht es und Sie sehen zu. Bitten Sie, dass Hand- und Fußabdrücke Ihres Kindes gemacht werden. Meist bekommen Sie diese auf einer Karte mit nach Hause und Ihr Kind erhält ein Namensbändchen.

In jedem Fall können Sie selber auch Fotos machen oder auch machen lassen, z. B. von ehrenamtlichen Fotograf*innen für Sternenkinder. Die meisten Mütter und Väter sind für ihre Bilder sehr dankbar, es sind kostbare Erinnerungen. Jetzt ist es möglich, dafür zu sorgen. Sie sollten sich Zeit lassen zum Abschiednehmen und Ihr Kind so oft und so lange sehen, wie Sie möchten. Pfleger*innen und Hebammen bringen Ihnen gerne Ihr Kind. Keine Sorge, es wird sich in dieser Zeit körperlich nur wenig verändern.

Geben Sie Ihren Familienangehörigen und vielleicht Freunden die Möglichkeit, Ihr Kind zu begrüßen und zu verabschieden.

Erwägen Sie eine pathologische Untersuchung / Obduktion, ist es hilfreich, im Gespräch mit Ärzt*innen zu klären, was gemacht werden würde und welche Erkenntnisse gewonnen werden können.

Geburtsurkunde

Kinder ab einem Geburtsgewicht von 500 Gramm werden standesamtlich erfasst und auch der nichteheliche Vater kann eingetragen werden. Kinder, die ohne Lebenszeichen unterhalb dieses Gewichts zur Welt kommen, können auf Wunsch der Eltern eine standesamtliche Bescheinigung bekommen. Bei Mehrlingen wird unabhängig vom Geburtsgewicht die Geburt aller Kinder beurkundet, sofern eines von ihnen mindestens 500 Gramm gewogen oder Lebenszeichen gezeigt hat.


Wieder zu Hause

Bevor Sie nach Hause gehen, könnte eine Person Ihres Vertrauens Freunde und Nachbarn informieren, um Ihnen unangenehme Erklärungen zu ersparen. Seien Sie auch darauf gefasst, dass manche Menschen nicht hilfreich reagieren, sondern womöglich unbedacht etwas sagen, das verletzt und aufwühlt.

Scheuen Sie sich nicht, Hilfe anzunehmen und darum zu bitten. Auf jeden Fall werden Sie auch von hilfreichen und berührenden Gesten und Worten überrascht werden, da, wo Sie es gar nicht erwarten.

Auch bei einer frühen Geburt haben Sie Anspruch auf die anschließende häusliche Betreuung durch eine Hebamme. Die Nachsorge-Hebamme sollte mit dem Thema vertraut sein. Unabhängig vom Geburtsgewicht erhalten Sie bei lebend geborenen Kindern Mutterschutz, bei tot geborenen Kindern ab einem Gewicht von 500g.


Birlas BulliBeerdigung

Jedes Kind, unabhängig vom Geburtsgewicht, kann individuell beerdigt werden. 
Sie entscheiden über Ort, Gestaltung und Kosten.

Viele Friedhöfe bieten für die Beisetzung der ganz Kleinen – gegen Spende oder Gebühr – Kindergrabfelder an, wie den „Lichtergarten“ oder „Ort der unvergessenen Kinder“. Auch die Beisetzung im Grab eines verstorbenen Angehörigen ist oft möglich.

Ein anonymes Grab ist häufig langfristig nicht hilfreich. Es fehlt ein persönlich konkreter Ort für Ihre Trauer und Ihre Gestaltung. Wichtig: Sie haben Zeit zu überlegen! Sie sollten nicht vorschnell Ihre Zustimmung geben, falls man Ihnen einen bestimmten Weg vorschlägt. Fragen Sie direkt auf Friedhöfen nach Bestattungsmöglichkeiten und Kosten für die ganz Kleinen.

Ein Behältnis für Ihr Kind können Sie selbst anfertigen oder einfach eine Schachtel gestalten. Es gibt aber auch sehr schöne Behältnisse zu kaufen. Möglichst viel selbst machen, kreativ sein, mit allen Sinnen. Schauen Sie Ihr Kind an, fühlen und schnuppern Sie, streicheln, liebkosen Sie, ziehen an, wickeln Sie Ihr Kind ein. Überlegen Sie, was Sie Ihrem Kind mitgeben möchten: einen persönlichen Brief, Bilder von Ihnen, den Geschwistern – was Ihnen wichtig ist.


Für eine Geburts- und Todesanzeige könnten Sie Fuß- oder Handabdrücke verwenden, Ihr Kind hat Spuren hinterlassen, sichtbar für alle, die es nicht persönlich verabschieden konnten. Es tut gut, Familie und Freunde teilhaben zu lassen.

Sie sind in Trauer! Das darf auch der Kindergarten oder die Schule wissen. Wenn Sie sich in Ihrer Trauer sichtbar machen, werden Sie erstaunt sein, wie viele Ihr Schicksal teilen.

 

Trauerfeier

Beteiligen Sie sich, machen oder suchen Sie Musik aus. Schmücken Sie die Schachtel, den Mosekorb oder den Sarg mit Handabdrücken, Fotos, persönlichen Ideen. Worte in einem Brief aus Ihrem Herzen, von Geschwistern gemalte Bilder oder ein kleines Kuscheltier können mit ins Behältnis oder das Grab. Ihre Pastor*innen und Bestatter*innen vor Ort werden Sie unterstützen.

Unser Leben ist zerbrechlich, das haben Sie schmerzvoll erfahren. Und doch können Sie in die eigenen Hände nehmen, wie und wo Ihr Kind einen Ort bekommt, liebevoll und wertschätzend.


Still geboren_Flyer

Die Informationen auf dieser Seite im Flyer „Tod am Anfang des Lebens: Erste Hilfe für Mütter und Väter, die ein Kind vor, während oder nach der Geburt hergeben müssen.“