Ein Kind verlieren – aus der Sicht eines Vaters

 

Wir haben eine wunderbare dreijährige Tochter und wurden wieder schwanger. Wir freuten uns sehr. Doch die Freude wurde immer wieder ausgebremst. Unsicherheiten bei den Untersuchungen und plötzlich Zweifel, ob die Schwangerschaft überhaupt noch bestehe. Ein Kollege wurde hinzugezogen und es war doch alles OK. Dann gab es ein Hin und Her bei der Berechnung der Schwangerschaftswoche (SSW). Meine Frau war sehr durch den Wind. Ich war nur sauer und wollte vor allem meine Frau beschützen.

Als Vater ist man sowieso mehr im Außen. Man bekommt nur Ausschnitte der Schwangerschaft mit. Meine Frau trägt das Kind immer bei sich, beide sind sozusagen eins. Ich bekomme mit Glück mal eine kleine Bewegung unter der Hand zu spüren. Mehr zufällig, selten machbar. Wenn es mal klappt, sind das kleine tolle Geschenke. Und ich hatte mich daran gewöhnt, dass es so ist. Wir waren ja schonmal schwanger und so gab es eine Art Erwartung, was geschehen würde. Natürlich auch, dass es gut geht. Und auf einmal hatten wir die 31. SSW überrundet. Das fühlte sich wie sicheres Fahrwasser an. Dass jetzt noch etwas falsch laufen könnte, daran haben wir nicht mehr gedacht.

Zum nächsten Ultraschall freuten wir uns auf die Bilder unseres Sohnes. Aber dann wurde es still im Untersuchungszimmer, es stimmte etwas nicht. Wie ein Schlag ins Gesicht kam die schreckliche Aussage. Ich fühle es fast wie damals. Ich war betäubt, im Hals völlig verknotet, Herzklopfen. Bis zur „infausten“ (abgesicherten) Diagnose wurde alles zweimal gemacht. Leider war das Ergebnis eindeutig: Unser Kind zeigte schwere Organschäden, Nieren und Lunge nicht entwickelt und verschiedene andere Besonderheiten, die ich gar nicht mehr aufnehmen konnte. Der Chefarzt schallte auch nochmal, wirbelte zackig und unnahbar mit dem Ultraschallkopf auf dem Bauch meiner Frau herum. Aber es änderte sich nichts. Unser Kind blieb außerhalb des Bauches nicht lebensfähig. Meine Frau war weiß, wie die Wand. Irgendwann war eklig klar, unser Kind wird nicht mit ins Leben gehen. Völlig benommen fuhren wir nach Hause. Wir sind dankbar für die große Unterstützung unserer Familien. Unsere Tochter war gut aufgehoben bei Oma und Opa, wodurch wir Raum und Zeit bekommen haben, diesen ganz anderen Weg zu gehen.

Aus unserer Betäubung heraus half uns am nächsten Morgen der Besuch unserer Pastorin. Sie kam und begrüßte unseren Sohn im Bauch meiner Frau. Sie fragte um Erlaubnis, ihre Hände auf den Bauch zu legen und dann sprach sie zu unserem Sohn. Dass er geliebt wird, dass er und auch seine Eltern nichts dafürkönnen, dass es jetzt so ist und er nicht mit ins Leben gehen kann. Wir waren völlig überrascht und die Geste und die Worte haben uns beide sehr bewegt. Es tat so gut, auch, weil es so selbstverständlich war. Dann war sie ganz bei uns, wir setzten uns und tranken Tee. Im Laufe des Gesprächs entfaltete sie uns viele Möglichkeiten der Gestaltung: eine Namensgebung sei möglich, vieles selber machen, einen Ort finden, sein Behältnis selber bauen, ihm einen Brief schreiben, eine Geburtsanzeige selbst gestalten, Freunde und Familie auf diese Weise von unserem Verlust unterrichten, dass wir Zeit haben, nicht hetzen müssen, seinen Ort finden, selber Bilder machen sollten. Es war mehr als schön das Ritual für unseren Sohn, ihm seinen Namen zu geben. Wirklich überwältigend war der Moment, als die Pastorin sagte: „ihr habt etwas Wunderschönes getan, ihm seinen Namen gegeben. Lasst uns den zusammen sagen.“ Es war schwer, weil die Tränen kamen, das war wie der eigentliche Moment. Er war wirklich da. Ich hatte vorher noch nie so stark gefühlt, dass wir wirklich zusammengehören. Dann machten wir eine Pause. Als wir wieder zusammenkamen, gab es einen Satz, der mich/uns sehr bewegt hat: „Es gibt einige unwiederbringbare Momente. Jetzt ist er lebendig bei euch und ihr könnt noch einiges mit eurem Sohn gemeinsam machen, das wird sich später gut anfühlen.“ Die Namensgebungsurkunde und unser Fotobuch aus den Tagen erinnerten mich immer daran. Als die Pastorin ging, wirkte bei einem weiteren Tee alles nach. Es dauerte gar nicht lange und wir wussten, was wir jetzt tun müssen. Meine Frau, ich und unser Sohn in ihrem Bauch setzten uns ins Auto. Wir machten eine Rundtour an unsere Lieblingsorte in Hamburg, erzählten unserem Sohn, wo wir sind, was wir da Besonderes erlebt haben, was wir ihm gerade zeigen und wo wir so gerne mit ihm rumtollen würden. Wir weinten, waren still, hielten immer wieder an, machten Fotos, legten immer wieder die Hände zu ihm auf den Bauch, kicherten und weinten wieder. Es war alles gleichzeitig.

Am nächsten Tag war es, als läge alles in uns bereit. Die Ideen kamen einfach. Wir suchten einem schönen Stein für sein Grab aus, einen Sarg-Rohling ließen wir uns von der Bestatterin nach Hause liefern. Ich war für Außen am Sarg zuständig, meine Frau für Innen. So hat unser Sohn nun einen Regenbogen aus leuchtenden Stoffbahnen über sich, und liegt auf einem Teil eines Schaffells unserer Tochter. Alles, was wir selbst getan haben, hat uns Kraft gegeben. Es tröstet mich, weil nun etwas von uns immer bei ihm ist. Gut vorbereitet kamen wir in der Klinik zur Einleitung der Geburt an. Eine Tasche mit seiner Decke, einem Mützchen von meiner Mutter. Fast jeder aus unserer Familie hat etwas beigetragen. Auch nach der Geburt haben wir so viel wie möglich selbst für unseren Sohn getan. Die Geburt war überwältigend, ihn dann in den Arm nehmen können auch. Wir konnten sein Leben nicht verlängern aber wir konnten ihn liebevoll begrüßen. Sein Tod war unausweichlich und alles tat gleichzeitig weh.

Für die Beerdigung konnten wir selbst die Kirche schmücken. Es fühlte sich gut an, den Raum für ihn zu gestalten. Eine Landschaft aus Muscheln und Sand von der Ostsee, Blumen und Sträucher aus unserem Garten. Seinen Sarg habe ich zum Grab getragen, das war mir wichtig. Zugeschaufelt haben wir alle gemeinsam, abwechselnd. Es war völlig organisch, es gemeinsam zu tun. Eine tolle Geste, alle hatten die Schaufel mal in der Hand. All das hätte nicht schöner ablaufen können. Wir waren kreativ und alles kam aus unserem Inneren. Natürlich war auch alles gehaltvoll, intensiv, emotional und kostete Kraft. Aber ich habe mindestens genauso viel Kraft dadurch bekommen. Es war ein guter Weg. Viele Gedanken und Gefühle wurden uns gerade auf diesen Wegstrecken erst bewusst. Im Nachhinein kann ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen, wenn dies ein anderer für mich/uns getan hätte. Unvorstellbar, das alles nicht getan zu haben. Was hätte mir alles gefehlt, wenn ein Profi das übernommen hätte. Wir sind dankbar, dass unsere Pastorin uns immer wieder ermutigt hat, auf unser Innerstes zu hören.  

Es ist viel Zeit vergangen und ich gehe gerne zu seinem Grab. Trauer und Schmerz sind nicht einfach weg, sie gehören jetzt zu mir. Die Liebe zu meinem Sohn hält mich. Bei jedem Besuch habe ich immer was dabei und gestalte etwas an seinem Grab. Dies ist der Ort, wo ich mit meinem Sohn zusammen traurig sein kann. Wenn meine Tochter mitkommt, meine Hand hält und wir stehen einfach nur da, sind das die kostbarsten Momente in meinem Leben.

Das Leben geht ja einfach weiter, aber für mich geht es jetzt anders weiter als vorher. Ich lebe normal meinen Alltag, kann auch wieder lachen, obwohl ich Narben trage. Ich spüre die Trauer und auch manchmal verzweifelte Gefühle. Das schwankt. Und dann fühle ich Dankbarkeit. Das selber Tun hat Frieden in mein Innerstes gebracht. Ich empfinde so viel Liebe in meinem Schmerz. Durch meinen Sohn nehme ich mir mehr als früher Zeit für meine Gefühle. Meine Prioritäten haben sich geändert. Mein Sohn hat Spuren in meinem Leben hinterlassen. Und so bin ich ein stolzer Vater von 2 Kindern, eins trage ich auf meinem Arm und eins in meinem Herzen.